
30 Jahre Deutsche Einheit
Zur Zeit der Wende war ich also drei bzw. vier Jahre alt. Ein typisches Nachwendekind! Die brodelnde politische Situation kenne ich weitestgehend nur aus Erzählungen. Ein paar eigene dunkle Erinnerungen sind aber auch vorhanden. Meine Eltern erzählten mir, dass ich auf den Schultern meines Vaters saß, als wir im Herbst 1989 in Zossen demonstrierten. Meine Mutter sagte mir, dass wir als Familie eine dauerhafte Benachteiligung und Unterdrückung erlebten, weil sie Mitarbeiterin der Evangelischen Kirche war. Für meine Familie war die Wende also eine Befreiung. Wie für viele andere auch.
Am Morgen des 10. November 1989 sind wir in einem völlig überfüllten Wartburg in Lichtenrade über die Grenze nach West-Berlin gefahren und ich erinnere mich daran, dass meine Mutter zu mir sagte: „Schau mal Ludwig, jetzt sind wir im Westen“.
Das erste Mal richtig bewusst geworden, dass sich etwas verändert, habe ich eher an Kleinigkeiten bemerkt. Auf einmal kauften sich viele ein neues Auto, die alten Trabis wurden in die Garagen oder auf die Hinterhöfe verbannt; die Straßennamen wurden durchgestrichen und es gab jetzt überall Fruchtzwerge zu kaufen.
Was mich geprägt hat, sind die sogenannten Nachwendejahre. Zum Beispiel meine ersten Schuljahre. Fast jede Woche erzählte mir ein anderer Mitschüler, dass seine Eltern arbeitslos geworden sind. Viele in meinem Umfeld waren perspektivlos und hatten das Gefühl nichts mehr wert zu sein. Die Veränderungen in dieser Zeit haben in vielen Familien tiefe Spuren hinterlassen. Einige Wunden sind bis heute nicht verheilt. Aber viele dieser Menschen haben sich auch wieder hochgekämpft. Sie haben noch einmal ganz von vorn angefangen und sich quasi ein neues Leben aufgebaut. Das hat mich tief beeindruckt. Und ich finde, diese Leistungen müssen wir viel mehr würdigen.
Das Foto aus dem Juni 1990 zeigt mich beim Ostseeurlaub in Zingst, es handelte sich dabei noch um ein echten FDGB-Urlaubsplatz, wahrscheinlich einer der letzten 
